Das Leben würdigen – Ein Tuch zum Abschied

Mitte: Ursprung und Ziel des Lebens

Für das Krankenhaus der Elisabethinen in Graz durfte ich im Dezember 2021 ein Verabschiedungstuch gestalten.

Wenn selbst im Krankenhaus die erhoffte Heilung oder zumindest Linderung einer schweren Krankheit  nicht mehr möglich ist, wird es oft Zeit für das letzte Loslassen. Versterben Menschen im Krankenhaus der Elisabethinen, bekommen Angehörige Möglichkeit, sich in einem würdevollen Rahmen zu verabschieden. Der/die Verstorbene ist in Leintücher gehüllt und wird mit einem Verabschiedungstuch zugedeckt.

Es war das Anliegen der begleitenden Seelsorgerinnen, dass dafür eine eigene Decke gestaltet wird. Auftrag und Intention der künstlerischen Gestaltung dieser Decke war es, das Leben des/der Verstorbenen zu würdigen, denn jedes Leben, in allem Schönen und Gelungenen, aber auch in allem Schwierigen und Misslungenen, ist wertvoll.

Die Grundlage der Gestaltung ist eine Decke einer Weberei im oberösterreichischen Mühlviertel. Sie ist aus Leinen und Wolle in ihren Naturfarben gewebt und verweist somit auf die in Österreich gebräuchlichsten textilen Materialien, die früher auch in bäuerlichen Betrieben vielfach selbst gefertigt wurden. Eine Decke ist ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand, sie hat die Aufgabe zu wärmen und kann den Angehörigen in der Phase des ersten Abschiednehmens etwas Wärme vermitteln. Wolle als wärmendes Material ist dazu besonders geeignet.

Als regulierter Tertiärorden ist die Gemeinschaft der Elisabethinen Teil der franziskanischen Familie. Die Materialwahl verweist somit auch auf die franziskanische Spiritualität der Ordensfrauen. Denn sowohl Leinen als auch Wolle erinnern an den Heiligen Franziskus, dem eine einfache Leinenkutte genügte. Aus Gründen der Demut und Wärme erlaubte er Tuchstücke aufzunähen. In der Unterkirche San Francesco Assisi ist eine wollene Kutte mit aufgenähten Stücken aus Tuch ausgestellt.*

Der Heilige Franziskus bat in einem Brief, als er den Tod nahe spürte, Frau Jakoba graufarbenes Leinen mitzubringen, in das sein Körper nach dem Tod eingehüllt werden möge.**

*Gerhard Ruf in: 800 Jahre Franz von Assisi. Franziskanische Kunst und Kultur des Mittelalters. Katalog der Niederösterreichischen Landesausstellung in Krems-Stein, Minoritenkirche, vom 15. Mai bis 17. Oktober 1982

**Niklaus Kuster in: Franz von Assisi – Bruder aller Menschen, 2006

 

Zur Gestaltung des Tuches

Die vorliegende Gestaltung wurde in einem gemeinsamen Prozess von Mag.a Michaela Hirzer-Weiß, Seelsorgerin im Krankenhaus der Elisabethinen, Maria Grentner, Mitarbeiterin im Haus der Stille und Irmgard Moldaschl erarbeitet.

Eine aufgenähte goldene Kordel symbolisiert den Lebensweg des Menschen. 

Die Farbe Gold wurde gewählt, weil jedes Leben als wertvoll und einzigartig gesehen wird. Die Kordel verläuft von Kopfende zu Fußende der Decke. Sie entspringt aus einem rot-goldenen Halbkreis und endet auch wieder in einem solchen identen Halbkreis am anderen Ende der Decke. Für die rot-goldene Mitte wurde rote Wolle in ein mit Goldfarbe bemaltes Leinen eingefilzt. Wolle steht für die Wärme, Rot für das Leben, Gold für das Heilige, für das Geheimnis. Dieses Zentrum wird mit golden leuchtenden Halbkreisen aus Seidenorganza erweitert, gemeinsam symbolisieren sie das Geheimnis von Ursprung und Ziel des Lebens, das in die Welt ausstrahlt. Zusammengefügt ergeben beide Halbkreise von Kopf- und Fußende einen Kreis. Sie zeigen: am Ende, im Tod, wird jedes Leben ganz und heil. Dann erfüllt sich unsere Sehnsucht nach Fülle und Einheit, die wir im Leben oft nur in Ausschnitten, in Bruchstücken erahnen und spüren.

Entlang des Lebensweges wurden Kreise aus verschiedenen Stoffen aufgenäht. Manchmal berühren sie die goldene Kordel, manchmal nicht. Sie sind als Metapher für die verschiedenen Stationen des Lebens zu deuten und bestehen aus verschiedensten textilen Materialien, die Menschen im Laufe ihres Lebens am Körper tragen oder ihnen in anderer Weise begegnen. Einige Stoffe dafür wurden von den Ordensfrauen und Seelsorgerinnen des Krankenhauses zur Verfügung gestellt, andere stammen aus dem familiären Fundus von Maria Grentner und Irmgard Moldaschl. 

Fortsetzung in Arbeit….