Corona-Collagen

Den ersten Lockdown im Frühjahr 2020 habe ich in Wien verbracht. Ohne jedes textiles Material, um etwas nähen oder gestalten zu können. Aber: die Tageszeitung lag verlässlich jeden Morgen vor der Tür. Mit all den Nachrichten zur neuen Krankheit und den Unwägbarkeiten, die sie mit sich brachte. Kurioses und Beängstigendes. Einsamkeit und Überforderung. Forschung und Fake. Lesen, Fernsehen, Kaffee trinken. Da fällt mein Blick auf den Kalender  mit den Gedichtcollagen von Herta Müller, ihrerseits Nobelpreisträgerin für Literatur. Ein Weihnachtsgeschenk von mir an mich. Beinahe reibe ich mir wie Wickie dreimal  an der Nase und schnippe dann einmal mit dem Finger: Gedacht, getan! Schon habe ich eine Schere in der Hand, schnipsle Worte aus und Bilder. Die Größe muss passen, die Schriften sollen interessant sein, vielleicht auch bunt, abwechslungsreich. Bald sind viele kleine Wort- und Bildschnipsel auf dem Tisch ausgebreitet. Ich wähle ein Bild. Dazu ein Wort. Das Initialwort. Nun fügen sich die Worte zur Gedichtcollage. Manchmal muss ich mir einen Buchstaben hineinzaubern. Schaut auch witzig aus! Alles muss auf einem A5 Blatt Platz haben.

Das Aufkleben der kleinen Stücke aus dem weichen Zeitungspapier fordert mich heraus, es reißt so leicht. Die Pinzette wird zu meiner täglichen Begleiterin der Collagenarbeit. Trotzdem sind meine Fingerkuppen voller Klebstoff und schwarz dazu von der Druckerschwärze. Die Fotos der fertigen Collagen teile ich elektronisch über unsere Gruppe. Bald schon urgieren einige den täglichen Kommentar zur Pandemie. Schön ist es, trotz allem so verbunden sein zu können!

Und soviel TEXT gesammelt! Es juckt mich unter den Nägeln, daraus TEXTIL werden zu lassen. Der Computer wird mein Werkzeug. Die eingescannten Collagenbilder drucke ich im A4 Format auf den vorbereiteten Stoff. Und bearbeite ihn weiter. Auch die Daten der Tage kommen dazu, wie z.B.: Tag x des Lockdowns, oder Tag y der Öffnung. Verbandstoff über die Bilder, Stickstiche mit der Hand, auch die Nähmaschine kommt zum Einsatz.

Meine Corona Collagen, eine Symbiose von TEXT & Textil, ein kleines Stück Zeitdokument. Zu sehen waren sie bei einer Ausstellung Anfang Oktober 2020 im Café Prückl in Wien. Gerade noch. Dann kam der zweite Lockdown.